HELMUT LANG – PARIS 1986: SEINERZEIT #3
2. Mai 2020
HELMUT LANG schaffte mit seiner minimalistisch-avantgardistischen Mode 1986 in Paris den Durchbruch. Der gebürtige Wiener erlangte in den 1990er Jahren weltweite Bekanntheit und zählt bis heute zu den wichtigsten internationalen Modeschöpfern dieser Zeit.
2005 zog sich Helmut Lang aus der Modebranche zurück und konzentriert sich auf sein künstlerisches Schaffen.
Wir blicken zurück und bringen ein Interview, das BRIGITTE WINKLER für das VON Magazine im Herbst 1986 führte.
„Schreiben S‘ das ja nicht, Helmut Lang im Glück“, lehnt er fast erschrocken ab, als diese Formulierung im Gespräch fällt. „Glück ist eine Sache, mit der man nicht spielt.“
Ich schreibe es trotzdem, denn Helmut Lang macht den Eindruck eines derzeit glücklichen Menschen. Und mit Spielen hat das gar nichts zu tun, Glück ist hier gemeint als Empfindung, als Seelenzustand und nicht als etwas, das einem wie ein Lottogewinn in den Schoß fällt.
Denn seinen Erfolg hat sich der Selfmade-Designer hart erarbeitet. Mit allen möglichen Höhen und Tiefschlägen für sich und andere, die mit ihm kämpften.
Acht Jahre ist Helmut Lang im Modegeschäft, probierte dies und das, im nach oben zu kommen, tauchte auf und unter und ließ schließlich all seine in diesen wechselvollen Zeiten gemachten Erfahrungen und Bekanntschaften auf ein Ziel los: Paris.
Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen, Angebote, Rückschläge, Verhandlungen, Zufälle, Vorstöße und Abmachungen, bis es endlich soweit war. Schlussendlich kam dem Wiener auch zugute, dass Paris gerade im Wien-Taumel lag: Anlässlich der Ausstellung „Wien um die Jahrhundertwende – Traum und Wirklichkeit“ im Centre Pompidou, die von den Franzosen begeistert gestürmt wurde, zeigte im dort aufgestellten „Wiener Caféhaus“ seine Herbstkollektion. Mode „im Stil der Wiener Moderne, beeinflusst von Josef Hoffmann, Adolf Loos und Kolo Moser. Eine Linie, puristisch im Detail, trotzdem erotisch wie ein Egon Schiele“, schreibt Helmut Lang ins Programm. Er lässt diese Chance nicht ungenützt verstreichen. Legt bei den auftretenden Modellgruppen noch einmal ein Schäufchen nach. Die erste Passage heißt gleich „L’Equipe de Josef Hoffmann“, später folgt „Alma Mahler, Muse des Artistes“ und schließlich sogar die „Les Mademoiselles“ vom Demel und „L’Orchestre Philharmonique“.
Das Publikum, bestehend aus internationalen Journalisten und Einkäufern ist geschafft – und Helmut Lang hat es geschafft. „Ich habe mir schon bescheidene Hoffnungen gemacht“, gesteht er später. „Aber das Ganze hat eingeschlagen wie eine Bombe. Ich wurde pro Tag zu an die zwanzig Interviews gebeten. Von den bekanntesten Modezeitschriften und allen möglichen Fernsehstationen.“ Seine Kollektion wird als sensationell und neu gefeiert und die Einkäufer rennen ihm die Türe ein.
Wien ist sicher einer der härtesten Plätze für ein Überlebenstraining. Wenn man das hinter sich hat, kann einem fast nichts mehr passieren.
„Jeder, der Mode macht, möchte in Paris zeigen, das ist wie eine Reifeprüfung. Aus Mailand kommt vielleicht Tragbares, aber Mode kommt aus Paris“, schneidert der Modemacher aus seinen jahrelangen Träumen griffige Formulierungen. „Ich habe in Wien Shows gemacht, die internationalen Standard hatten und habe konsequent meine Linie verfolgt. Das hat man auch im Ausland zur Kenntnis genommen und auch in Paris gewusst. Ich habe einen selbstverständlichen, eigenen Stil nach Paris gebracht und die Kinderschuherfahrungen hinter mir gelassen. Wien ist sicher einer der härtesten Plätze für ein Überlebenstraining. Wenn man das hinter sich hat, kann einem fast nichts mehr passieren.“
Tagelang saß Helmut Lang dann in seinem Pariser Büro und tat nur mehr eines: „Lieferscheine ausfüllen, für Frankreich, Italien, Deutschland, die Schweiz und die USA. Fast war mir das alles zu dicht, denn ich wusste, nun sind die Erwartungen sehr hoch. Ich genoss eine Würdigung, die ich beim zweiten Mal erfüllen musste.“
Den Grund für seinen Erfolg sieht der nunmehr Vielbegehrte in seinem Modeverständnis: „Ich will, dass man den Frauen, die meine Sachen tragen, zuerst ins Gesicht schaut. Nicht zuerst frägt ‚Wo ist diese Jacke her?‘ und sich erst dann dafür interessiert, wer sie träft. Meine Mode besteht aus einer guten Basis, mit vielen Verwandlungsmöglichkeiten. Wichtig ist die Frau, die sie trägt. Sie kann damit machen, was sie will.“
Nach der von Japanern beeinflussten Mode und nach der funny Fashion glaubt Helmut Lang, dass nunmehr die intellektuelle Mode sich durchsetzen wird. Der Stil der gekonnten Einfachheit, die „ein bisschen von der Couture kommt und einfach getragen wird, wie ein T-Shirt. Die Dramatik und die Erotik kommen erst an zweiter Stelle“.
Seine Zielgruppe sind emanzipierte Frauen, „die von der Emanzipation nicht geschädigt sind. Frauen, die ihr Leben Leben, selbständig sind, Kinder kriegen.“
Bei aller Freude über Artikel in allen möglichen Zeitschriften, die ihn in einem Atemzug mit Top-Stylisten wie Claude Montana, Azzedine Alaia oder Kenzo nenne, weiß Helmut Lang eines: seine zweite Kollektion muss diesen Sensationserfolg bestätigen. Ja, ihn womöglich noch übertreffen.
Es kommt der Herbst, die Pariser Prêt-à-Porter für das Frühjahr 1987 – und wieder ist der Andrang groß. Die Adresse, abseits der Defilees der alteingesessenen Designer im Louvre, offenbar schon mehr als ein Geheimtipp: In einem verregneten Paris scheuen zahlreiche Journalisten und Einkäufer aus aller Welt nicht den Weg in eine kleinen Seitengasse des Place de Victoire, wo Helmut Lang seine Kollektion präsentiert.
In kurzer Zeit sind die Räumlichkeiten der „Edition du Regard“ hoffnungslos überfüllt. Fluchende Fotografen und Moderedakteurinnen bleiben schon im Stiegenhaus stecken. Der Verlag, dessen kühle Sachlichkeit, dessen Atmosphäre von Büchern und Bildern, Antiquariat und Café dem Wiener Modeschöpfer als geeigneter Rahmen für seine Mode schien, erweist sich als zu klein. Und dann geht es mit der für Paris üblichen, kräftigen Verspätung los: ein Mädchen nach dem anderen marschiert durch das gedrängt sitzende und stehende Publikum. Selten, dass eine stehen bleibt, sich den Fotografen präsentiert. Wer nicht schnell schaut, hat‘s versäumt. Mannequins aus Wien sind dabei, Cordula Reyer, Jasmin … Vom Typ her sorgfältig ausgesucht, keine tollen Superstars, die in irrwitzigen Verrenkungen über den Laufsteg schreiten. Mädchen, wie du und ich. Mode zum Anfassen nahe.
Das Publikum nickt einander zu, lächelt, klatscht. Man ist nicht umsonst gekommen, die Erwartungen haben sich erfüllt. Am Ende wir der Applaus zum Jubel, der in Jeans gekleidete Modekünstler abgeküsst, beglückwünscht, die Modelle am Ständer nochmals angegriffen, befühlt. Dann eilt man hinaus in den Regen. Nächste Saison wird man wiederkommen, schon ganz selbstverständlich. Nicht mehr mit der unterschwelligen Frage, schafft er’s oder schafft er’s nicht.
War es Helmut Lang mit seiner ersten Präsentation im Frühjahr gelungen, das Tor ins Modemekka Paris einen Spaltbreit zu öffnen, so gehört er jetzt dort wohl ganz einfach dazu.
TIPP: HELMUT LANG ARCHIV IM MAK
Im MAK Museum Wien gibt es das Helmut Lang Archiv, in dem die Geschichte der Markenentwicklung und -identität Helmut Langs dargestellt ist.
Vom 16. Juni bis 1. November 2020 wird hier eine temporäre Intervention von Helmut Lang, zu sehen sein. Sie beschäftigt sich mit dem Archiv als Sammlungs-, Aufbewahrungs- und Ausstellungsort und Speicher von Erinnerungen sowie dem Potenzial seiner Nutzung.